Großer Auftritt im kleinen Paradies

Das „Paradies“ liegt mitten in der Städteregion Nürnberg – genau genommen in der Nürnberger Bogenstraße zwischen Friseursalons, Sportbars und Paketshops. Seit über 45 Jahren glitzern hier die Stars in Deutschlands zweitältestem Travestie-Theater mit der Discokugel um die Wette. Herr der Lage zwischen Paradiesvögeln und Publikum, zwischen Federboas und Make-up, zwischen Lachen und Weinen ist Theaterbesitzer Thomas Heber.

Wenn man Wein mit Familiennamen (und Sisi mit Vornamen) heißt, passt es wunderbar, wenn man über den Frankenwein schreiben darf. Und über Frankens kulinarische Besonderheiten. Über Natur, Traditionen und Kultur. Und nicht zuletzt über unglaublich spannende und gastfreundliche Menschen, die das Urlaubsland so besonders machen. Das tue ich nun, seitdem ich vor rund 20 Jahren als Journalistin vom Bayerischen Wald in den Naturpark Altmühltal gezogen bin.

Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Im Nürnberger Travestie-Theater „Paradies“ erzählt Besitzer Thomas Heber eine bewegende Geschichte aus Liebe, Verlust und Leidenschaft, während auf der kleinen Bühne große Gefühle, schillernde Shows und die kulturelle Vielfalt der gesamten Städteregion Nürnberg zusammenkommen.

Noch ist es ruhig im „Paradies“, doch Thomas Heber ist schon mit den Vorbereitungen für die abendliche Show beschäftigt. Immer Donnerstag bis Samstag bietet sein Theater der Travestie – also der Darstellung einer weiblichen Rolle durch einen Mann – eine Bühne. Viele Künstler:innen, die bei ihm auftreten, halten dem „Paradies“ schon seit Jahren, manchmal sogar seit Jahrzehnten die Treue. „Wir sind hier eine Familie“, erklärt Thomas Heber: „Da sind alle mit Herz und Liebe dabei.“

Liebe, die ein Theater veränderte

Der Liebe ist es zu verdanken, dass Thomas Heber 1990 zum Besitzer des „Paradies“-Theaters wird – gegründet im Jahr 1978 und nach dem Hamburger „Pulverfass“ das zweitälteste Travestie-Theater in Deutschland. Eigentlich hat er damals einen ganz anderen Weg eingeschlagen und arbeitet im Norden Frankens im Lebensmitteleinzelhandel. Dann tritt Peter Schneider in sein Leben. „Er kam als Schokoladenvertreter“, erzählt Thomas Heber versonnen, „und wurde meine große Liebe“.

© FrankenTourismus / Sisi Wein

Schon damals steht Peter Schneider leidenschaftlich gern in seiner Frauenrolle als dralle Blondine im „Paradies“ auf der Bühne. Doch dann will dessen Besitzer verkaufen. Also entscheiden sich Peter Schneider und sein gerade einmal 22-jähriger Partner dazu, ihr bisheriges Leben über Bord zu werfen. „Das war schon ein Wagnis,“ erinnert sich Thomas Heber: „Aber ich habe mich vor meine Familie gestellt und gesagt: Das ist mein Freund, er ist 16 Jahre älter, wir ziehen jetzt nach Nürnberg und übernehmen ein Travestie-Theater!“

Theaterbesitzer aus Liebe

Mit vielen Hochs, aber auch wirtschaftlichen Tiefs gelingt das Wagnis. „Reich wird man mit der Travestie nicht“, so das Resümee von Thomas Heber, „aber dafür haben wir hier etwas Besonderes.“ Und er und sein Mann haben sich als Paar – bis das Schicksal zuschlägt. Peter Schneider wird schwer krank und stirbt im April 2016. „Ich musste ihm am Sterbebett versprechen, dass ich weiter mit dem Theater mache“, blickt sein Mann zurück: „Also habe ich noch am Abend der Beerdigung wieder aufgesperrt.“

© FrankenTourismus / Sisi Wein

Die starke Verbindung zwischen den beiden ist noch heute überall im „Paradies“ gegenwärtig. An den Wänden erzählen viele Fotos von ihren, wie Thomas Heber es nennt, „27 wunderbaren Jahren“. Selbst die Ansage vom Band, die den Beginn der abendlichen Show einläutet, stammt von Peter Schneider. Zu diesem Zeitpunkt hat sich das „Paradies“ schon längst gefüllt und das Publikum drängt sich um die kleinen Tische. Über ihren Köpfen glitzern die Lüster. Ihr Licht bricht sich in goldumrahmten Spiegeln und taucht viele Meter petrolfarbenen Samt in eine schummrige Stimmung – es ist plüschig-gemütlich im „Paradies“.

Thomas Heber hat sich in eine schimmernde Weste geworfen und serviert Cocktails mit Kirsche, Glitzerpalme und Sahnehaube. Mit rund 65 Gästen ist das Theater voll, wie sein Inhaber erklärt: „Wir sind ein familiärer, kleiner Laden. Da bist du mittendrin, die Show zieht dich rein!“ Wie es für Familien üblich ist, packt jeder mit an. Thomas Heber überlässt die Bühne lieber anderen, kümmert sich dafür um Service, Technik und Einlass. Helfende Hände sind ihm hierbei gewiss: „Bei uns räumen auch mal die Darsteller die Gläser ab.“

Ein wilder Ritt durch die Travestie

Jetzt ist dafür allerdings keine Zeit, denn backstage verwandeln sich die Künstler:innen in schillernde Geschöpfe der Nacht. Da wird in der engen Garderobe gepudert und gelidstricht, da werden Korsette geschnürt, Perücken und Dekolletés zurechtgerückt und auch mal kleine, liebevolle Gehässigkeiten ausgetauscht.

© FrankenTourismus / Sisi Wein

Und dann geht’s endlich los mit dem wilden Ritt durch die Travestie. Tänzer Tekin wirft sich in den Spagat, Sarah Barelly unterhält mit Kreuzfahrtgeschichten und Live-Gesang, Ilu Cazal hat ihren großen Auftritt als Frankensteins Braut. Vor Yvonne Parkers Wortgewalt ist niemand im Publikum sicher – schon gar nicht der hübsche junge Mann in der ersten Reihe. Danielle Marques hingegen braucht keine Worte: Sie setzt ganz auf Körpersprache und verwandelt sich von der keuschen Braut in die Femme fatale. Da wird auch etwas Haut gezeigt – oder eher etwas mehr, weshalb die Shows nur für Gäste ab 18 Jahren zugänglich sind. Dem Publikum gefällts, viele Wiederholungstäter sind unter den Gästen: etwa Maria und Franz aus der Oberpfalz, die seit 16 Jahren zu jeder der monatlich neuen Shows pilgern. „Wir fahren danach immer glücklich nach Hause“, betonen die beiden: „Das hier ist einfach unser Paradies.“

© FrankenTourismus / Sisi Wein

Zwischen Glitzer und Gänsehaut

Der Abend ist ein großer Spaß, doch er hat ebenso nachdenkliche Momente. Als Sarah Barelly ihre Version des Lieds „Einmal sehen wir uns wieder“ Peter Schneider widmet, laufen nicht nur bei den Stammgästen die Tränen. Wo auch immer sich das Paradies-Ehepaar Thomas und Peter wiedersehen wird: Es wird sicher mit viel Liebe, jeder Menge Glitzer und einem Cocktail mit Sahnehäubchen sein.

Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach bilden die Städteregion Nürnberg und bieten kulturelle Vielfalt auf kleinem Raum. Nürnberg begeistert mit Freiluft-Events wie dem Bardentreffen oder Klassik Open Air. Erlangen punktet ebenfalls unter freiem Himmel, etwa bei der Bergkirchweih, dem Poetenfest oder dem Schlossstrand, und alle zwei Jahre mit dem Internationalen Comic-Salon. Fürth lockt mit dem Jewish Music Today Festival, dem Literaturfestival „Lesen!“ und der „Grünen Nacht“ in der Altstadt. Schwabach schließlich glänzt als Zentrum der europäischen Blattgoldherstellung und feiert jährlich die „Goldschläger Nacht“. Jede Stadt bietet so ihre eigenen Highlights und die Städteregion Nürnberg gemeinsam ein abwechslungsreiches Kulturprogramm.

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