Coburg.Rennsteig: Verbindende Grenzgänge

Das idyllische Rodachtal im Urlaubsgebiet Coburg.Rennsteig wurde jahrzehntelang von der innerdeutschen Grenze zerschnitten. Wanderungen werden hier zu Touren durch die Geschichte – besonders, wenn Hendrik Dressel als Wanderführer dabei ist.

Mein Name ist Barbara Keil, ich bin an der Grenze zum Reiseland Franken aufgewachsen und habe schon als Kind gern meine fränkischen Verwandten besucht. Doch erst als ich vor einigen Jahren anfing, als Redakteurin beruflich nach Franken zu reisen, ist mir klar geworden, wie unglaublich vielfältig die Region ist. Jeder Ausflug bietet neue überraschende Entdeckungen und spannende Begegnungen mit den Menschen vor Ort!

Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Mit Hendrik Dressel durfte ich heute auf den Spuren der deutschen Geschichte wandern.

Mit einem spitzbübischen Lächeln weist Hendrik Dressel in Richtung des Grenzturms, der als grauer Fremdkörper aus der grünen Umgebung ragt. „Wenn wir hier nach Osten schauen, ist da der Westen!“, erklärt er. Ortsunkundige sind bei diesem geografischen Gedankenspiel trotzdem schnell verwirrt. Zum Glück ist es heute allerdings egal, ob man sich im Osten oder im Westen befindet.

Das war längst nicht immer so. Hendrik Dressel, der im Seßlacher Ortsteil Gemünda i.OFr. aufwuchs, erlebte 1961 als Kind, wie die deutsch-deutsche Grenze endgültig dicht gemacht wurde. Kurz zuvor waren einige, vor allem junge, Leute aus dem benachbarten Ummerstadt in den Westen geflohen, um nicht im Rahmen der DDR- Aktion „Kornblume“ umgesiedelt zu werden. Zäune, Stacheldraht und zeitweise sogar Minen trennten sie von ihren Familien und schnitten Orte voneinander ab, die jahrhundertelang eng verbunden waren.

Doch auch wenn die einen danach ein-, die anderen ausgesperrt waren, der Blick blieb frei. Seit 1963 steht deshalb das Ummerstadter Kreuz auf einer Anhöhe bei Gemünda. Von dort schauten Angehörige bei Beerdigungen nach Ummerstadt zu Friedhof und Kirche hinüber, weil sie keine andere Möglichkeit zur Teilnahme hatten. Hendrik Dressel bewegen diese Schicksale noch heute. Das Kreuz ist für ihn mittlerweile mehr als nur eine Erinnerung an die tragische Teilung. Es mahnt auch, aus der Geschichte zu lernen – und steht als Symbol der Dankbarkeit für das friedliche Ende der DDR. Die Wende hat Hendrik Dressel als langjähriger Bürgermeister von Seßlach nicht nur miterlebt, sondern aktiv mitgestaltet.

Ummerstadter Kreuz
© Barbara Keil

Nur die Toten durften bleiben

Geschichtsträchtige Orte wie das Ummerstadter Kreuz liegen bei Wanderungen auf dem „Zweiländerweg Rodachtal“ oder anderen örtlichen Routen immer wieder auf der Strecke. Zu ihnen gehört auch der Friedhof von Billmuthausen: Der kleine Gottesacker mit den teils von Gras überwachsenen Gräbern ist der einzige Teil der grenznahen Ortschaft, der nicht dem Erdboden gleich gemacht wurde, um Platz für den sogenannten „Signalzaun“ zu schaffen: Selbst wenn Flüchtlinge diesen überwinden konnten, rückten die alarmierten Grenztruppen auf dem Kolonnenweg aus und fingen sie noch vor dem eigentlichen Sperrzaun ab. Ein Todesstreifen während den Zeiten der Teilung – und heute ein „grenzenloser“ Naturraum. Denn weitgehend ohne Einfluss des Menschen entstand im Schatten der Grenzanlagen ein artenreiches „Grünes Band“, das heute unter Naturschutz steht. Hier hören Wanderer den Kuckuck rufen oder sehen auch mal einen Feldhasen über den Weg hoppeln. Die Idee, durch dieses Naturidyll eine Grenze zu ziehen, erscheint in solchen Momenten völlig absurd.

„Die Grenze hat sich nicht nur durch Deutschland geteilt, sie hat die ganze Welt geteilt“

Hendrik Dressel

Auch kulturell bildet die Gegend eine Einheit, deshalb gründete Hendrik Dressel mit seinen Bürgermeisterkollegen nach der Wiedervereinigung den Verein „Initiative Rodachtal“. „Die fränkische Kultur, die Kommunbrauhäuser und -backhäuser, die Baukultur mit dem fränkischen Fachwerk – das alles verbindet uns nach wie vor“, betont er. Viele Fachwerkhäuser wurden liebevoll saniert, in Seßlach und Gemünda ebenso wie beispielsweise in Ummerstadt. Auch das Wahrzeichen der Region, die Veste Heldburg, erstrahlt wieder in altem Glanz. 1982 hatten die Gemündaer noch aus der Ferne untätig zusehen müssen, wie die Burg bei einem Brand schwer beschädigt wurde.

Kommunisten auf Kur

Grenzenlose Entspannung bieten die beiden Heilbäder des Gesundheitsparkes Franken im Rodachtal. Aushängeschild des Heldburger Stadtteils Bad Colberg ist heute die Terrassentherme. Zu DDR Zeiten waren die Colberger Thermalquellen ausschließlich den Mitarbeitern des Innenministeriums und der Stasi vorbehalten – wegen der Nähe zum Westen. Von Bad Colberg führt eine Wanderung zur ThermeNatur in Bad Rodach und somit über die Grenze, deren Spuren heute vielerorts kaum noch erkennbar sind. Auf der Anhöhe bei Gemünda ist jedoch ein kleines Stück vom Sperrzaun stehen geblieben. Dahinter schlängelt sich der grasüberwachsene Kolonnenweg durch das „Grüne Band“.

Nicht weit von diesem mahnenden Relikt ist – unter anderem auf Initiative von Hendrik Dressel – ein besonderer Rückzugsort entstanden: die Kapelle an der Heiligenleite. Die Einträge in dem bereitliegenden Buch zeugen davon, dass sich viele Menschen von diesem stillen Raum mit dem Lichtkreuz angesprochen fühlen, ob alt oder jung, aus dem Westen oder dem Osten. Ebenso bunt gemischt ist das Publikum, mit dem Hendrik Dressel seine Erinnerungen an die Grenze geteilt hat und weiterhin teilen will: „Ich wünsche mir, dass diese Erinnerung, die meine Generation erleben durfte, sich auf andere Generationen übertragen lässt“, erklärt er seinen Antrieb, „und dass sich mit diesem Wissen die Zukunft so gestalten lässt, dass wir gut zusammen leben“.

© FrankenTourismus / Sat.1 Bayern

Bei wem nun das Interesse für eine Wanderung auf den Spuren der Geschichte im bezaubernden Rodachtal geweckt wurde, der findet alle weiteren Informationen und Tourenvorschläge unter: www.coburg-rennsteig.de. Auf den naturnahen Wanderwegen gilt es, Rücksicht auf die einmalige Natur und den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zu nehmen. Die Region ist mit den Zügen der Deutschen Bahn und durch das regionale Busliniennetz gut angebunden.

Barbara Keil

Verfasst von Barbara Keil
am 13. Mai 2022 unter Hausbesuche Franken, Wanderparadies Franken mit den Schlagwörtern Coburg.Rennsteig, Geschichte, Wandern.

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